Leonardo da Vinci war einfach
genial. Er malte wunderschöne Bilder und baute Musikinstrumente. Er
konstruierte Brücken und Abwassersysteme, studierte den menschlichen Körper,
beobachtete die Natur, erfand Waffen und raffinierte Maschinen. Man könnte fast
glauben, dass er aus der Zukunft kam. Denn irgendwie war er seinen Mitmenschen
hunderte von Jahren voraus.
Die Statue von Leonardo da Vinci, die Luigi Pampaloni 1837-39 aus Stein schuf, steht in den Uffizien in Florenz/Italien, kein Copyright |
Leonardo da Vinci hieß eigentlich
Leonardo di ser Piero, also Leonardo, Sohn des Herrn Piero. Vinci ist gar kein
richtiger Nachname, sondern der Name des Ortes, wo Leonardo am 15. April 1452
geboren wurde. Er liegt in der italienischen Region Toskana. Sein Vater war ein
gebildeter Mann, seine Mutter eine Bäuerin oder eine Sklavin. Jedenfalls waren
seine Eltern nicht verheiratet, das war damals nicht so gut. Aber sein Vater
war wohl ein netter Mensch. Er nahm Leonardo als Sohn bei sich auf und sorgte
für seine Ausbildung.
Es gibt eine lustige Geschichte
aus Leonardos Kindheit. Einer der Bauern des Dorfes hatte sich ein rundes
Schild gebaut und wollte, dass Ser Piero es für ihn bemalen ließ. Sir Piero gab
es seinem Sohn, und Leonardo bemalte das Schild mit einem feuerspeienden
Ungeheuer. Das Monster muss so genial fürchterlich ausgesehen haben, dass sein
Vater es sofort an einen Kunsthändler verkaufte. Der Bauer bekam stattdessen
ein anderes Schild zurück, auf dem nur ein langweiliges Herz mit Pfeil war.
Ich glaube, jedem war damals
schon klar, dass Leonardo kein normaler Mensch war. Mit 14 Jahren durfte er in
der besten Werkstatt von Florenz beim Künstler Verrocchio eine Ausbildung
beginnen. Weil Verocchio den jungen Leonardo so hübsch fand, musste er ihm nebenbei
Modell stehen. Verrocchios David Statue zeigt vermutlich Leonardo. Der
abgeschlagene Kopf von Davids Gegner Goliath liegt zu seinen Füßen.
Die Bronzestatue des David von
Andrea del Verrocchi (1473-1475) steht im Palazzo del Bargello in Florenz, Foto: Sailko cc-by-sa 3.0 |
Damals lernte man als
Kunstschüler nicht nur Malen, Zeichnen und Bildhauen, sondern auch Chemie und
Mechanik, das Arbeiten mit Metall und Leder und Schreinern mit Holz. Leonardo
bekam Kontakt zu den gelehrten seiner Zeit. Denn in der Gilde (so nannte man
früher die Handwerkskammer) waren die Künstler zusammen mit den Ärzten und
Apothekern organisiert, und Meister Verrocchio bestand darauf, dass seine
Schüler den Aufbau des menschlichen Körpers zusammen mit den Ärzten studierten.
Für Leonardo, der so viele verschiedene Talente und Interessen hatte, muss die
Lehre großartig gewesen sein.
Wie alle Schüler, musste Leonardo
seinem Meister bei der Arbeit helfen. Verocchio skizzierte seine Bilder selbst,
und ließ sie von den Mitarbeitern seiner Werksatt zu Ende malen. Das war so
üblich. Einmal verlangte Verrocchio, dass Leonardo einen kleinen Engel am Rand
eines Bildes malen sollte. Der Kunstwissenschaftler Vasari berichtet, dass Verrocchio
Leonardos Malerei so überragend fand, dass er seinen eigenen Pinsel weglegte
und sich seitdem weigerte, selber noch irgendetwas zu malen.
"Die Taufe Christi" von Andrea del Verrocchio hängt ebenfalls in den Uffizien in Florenz. Von Leonardo stammt vermutlich der Engel, der das Gewand trägt. Bild: The Yorck Project, Directmedia |
Nach seiner Lehre lebte Leonardo in
Florenz. Aber mit dreißig bekam er eine Anstellung am Hofe des Herzogs von
Mailand. 17 Jahre verbrachte er dort, abgesehen von einer kurzen Reise nach
Ungarn. Aber 1499 musste er aus Mailand fliehen, denn die Stadt wurde von den
Franzosen eingenommen. Über Umwege kehrte er nach Florenz zurück. 1512 zog er
für kurze Zeit nach Rom und verbrachte schließlich die letzten Jahre seines
Lebens auf Château du Clos Lucé, in Frankreich, wo ihm König Franz, der Leonardo bewunderte, bis zu
Leonardos Tod am 2. Mai 1519 das ganze Schloss überließ.
Château du Clos Lucé in Amboise, Frankreich, Foto: Nadègevillain, 2004, cc-by-sa 3.0 |
Leonardos Ölbilder sind die berühmtesten und teuersten Bilder aller Zeiten. Leider gibt es nur sehr wenige. Einige hat er nie fertig gestellt und von den anderen haben nur wenige die letzten 500 Jahre überdauert. Das liegt vielleicht daran, dass Leonardo gerne mit neuen Farben und Techniken experimentiert hat. Nicht alle waren besonders haltbar. Zum anderen glaube ich, dass Leonardo sich gar nicht so sehr für das Malen interessierte. Es war natürlich eine Möglichkeit Geld zu verdienen. Aber er hatte so viele Talente, dass er dazu neigte, sich zu verzetteln.
Egal, wo er hinging, hatte er immer ein Notizbuch dabei. Überall machte er sich Skizzen von Menschen, zeichnete Ideen und schrieb einfach alles auf, was ihm einfiel. Dann forschte er, beobachtete stundenlang den Flug eines Vogel oder einer Libelle, schnitt Leichen auf oder konstruierte eine neue Maschine. Deswegen konnte ein Auftrag für ein Kunstwerk auch ein paar Jahre liegen bleiben. Ich glaube, seine Auftraggeber fanden das nicht immer gut.
Einmal sollte Leonardo ein
riesiges Bild auf eine ganze Wand des Klosters Santa Maria delle Grazie
malen. Es zeigt Jesus mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahl, gerade in dem
Moment, in dem Jesus seinen Freunden mitteilt, dass einer von ihnen Jesus noch
in derselben Nacht den Römern zur Kreuzigung ausliefern würde. Das Bild hatte
der damalige Herzog Ludovico Sforza bestellt.
Wieder trödelte Leonardo bei der
Arbeit, bis sich der Prior, also der Chef des Klosters, schließlich beim Herzog
beschwerte. Leonardo erklärte dem Herzog daraufhin, dass er über verschiedene
Dinge nachdenke müsste, zum Beispiel habe er noch kein Modell für den bösen
Verräter Judas. Wenn aber der Prior ihn weiter drängen würde, würde er das
Gesicht des Priors als Vorbild für Judas benutzen. Darüber musste der Herzog
lachen und der Prior ließ Leonardo danach lieber in Ruhe.
Das Gemälde ist eines seiner berühmtesten
Werke. Aber leider hat Leonardo bei den Farben irgendetwas falsch gemacht. Schon
100 Jahre später war es völlig ruiniert. In den letzten Jahren wurde es aufwendig restauriert. In der Mitte unter dem Tisch, dort wo Jesu Füße
sein müssten, fehlt jedoch ein Stück, weil irgendwann jemand eine Tür in die
Wand des Klosters gebrochen hat, mitten durch das Bild durch.
„Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci |
Das wohl berühmteste Werk von
Leonardo da Vinci ist die Mona Lisa. Sie entstand zwischen 1503 und 1506,
genauer weiß man es nicht. Das Bild ist ziemlich klein, gerade einmal 77cm mal
53cm groß, aber trotzdem etwas ganz besonderes. Sowohl die Einteilung des
Bildes als auch die Maltechnik waren im damaligen Italien ganz neu. Aber das Ungewöhnlichste ist das Lächeln.
Niemand weiß, wer Mona Lisa war.
Die einen sagen, Mona Lisa könnte die Neapolitanerin Lisa Gherardini, Frau von
Francesco del Giocondo gewesen sein. Aber andere denken, dass Leonardo vermutlich
seinen Liebhaber Salai gemalt hat. Wenn man die Buchstaben vertauscht, wird aus
„Mona Lisa“ „Mon Salai“, und das heißt „mein Salai“. Außerdem hat Leonardo das
Bild behalten und bei jedem Umzug bis nach Frankreich mitgenommen. An einer
Auftragsarbeit von irgendeinem italienischen Tuchhändler hätte er bestimmt nicht so gehangen.
Die „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci hängt heute im Louvre in Paris |
Leonardo war ein Tüftler. In der Malerei setzte er neue Farben und Techniken ein. Eine seiner Entwicklungen war die Sfumato-Technik, mit der er zum Beispiel die Landschaft im Hintergrund der Mona Lisa gemalt hat. Sie wirkt leicht verschwommen und irgendwie weiter weg, fast wie auf einem Foto. Aber Fotos gab es damals natürlich noch nicht. Außerdem hat er sich sehr genau mit Licht und Schatten beschäftigt, um zum Beispiel das Gesicht der Mona Lisa zu betonen.
Eigentlich war Leonardo kein
großer Mathematiker, aber er interessierte sich sehr für die Geometrie. Zusammen
mit seinem Freund, dem Mathematiker Luca Pacioli, arbeitete er an einem Buch
über „das göttliche Verhältnis“. Wahrscheinlich hat er dabei ein Buch von
Vitruv gelesen. Vitruv war ein römischer Architekt, der über 1500 Jahre vor
Leonardo gelebt hat. Vitruv hatte sich sehr mit Proportionen beschäftigt,
hauptsächlich von Gebäuden, aber an einer Stelle bezieht er seine Theorie auch
auf den menschlichen Körper. Leonardo skizzierte daher 1492 den perfekten
Menschen und bewies, dass sich der aufrecht stehende Mensch sowohl in einen
Kreis als auch in ein Quadrat einfügen lässt. Lustigerweise sind die
Mittelpunkte der beiden Formen in Leonardos Zeichnung zueinander verschoben.
Der Mittelpunkt des Kreises liegt im Bauchnabel des Menschen, der des Quadrats
liegt aber im Penis.
„Der vitruvianische Mensch“ von Leonardo da Vinci, Accademia/Venedig, Foto: Luc Viatour, http://www.lucnix.be |
Über, unter und um seine Zeichnungen herum machte Leonardo sich Notizen in Spiegelschrift. Warum er in Spiegelschrift schrieb, weiß man nicht. Vielleicht war es für ihn als Linkshänder einfacher, oder er dachte, es sei eine gute Geheimschrift, damit nicht jeder seine Ideen lesen konnte.
Er hatte wirklich viele gute
Ideen. Während seines Aufenthalts in Mailand, als die Pest viele Menschen
tötete, erkannte er schon 350 Jahre vor dem Wiener Arzt Ignaz Semmelweiß, dass
ein Zusammenhang zwischen Hygiene und Krankheiten besteht. Deshalb machte er
Pläne für ein ordentliches Abwassersystem und organisierte eine Müllabfuhr,
damit nicht alles einfach auf der Straße vermoderte.
Während seiner Zeit in Rom
arbeitete er an einem Projekt zur Energiegewinnung aus Sonnenlicht mit
speziellen Hohlspiegeln. Er konstruierte Verteidigungsanlagen für den Hafen und
arbeitete an der Trockenlegung der Sümpfe.
Außerdem schnitt er in seinem
Leben bestimmt 30 Leichen auf und untersuchte den Zusammenhang zwischen inneren
Krankheiten und äußeren Anzeichen. Zum Beispiel entdeckte er, dass manche
Blutgefäße bei älteren Menschen verkalkt sind. Er untersuchte wissenschaftlich,
wie Knochen, Muskeln und Sehnen miteinander arbeiten, lange bevor dieses Thema
in der Biomechanik wieder aufgegriffen wurde. Er zeichnete alle möglichen
Organe und wahrscheinlich zum ersten Mal auch Embryonen im Mutterleib.
Leonardos Studien zu Embryonen im Mutterleib, Foto: Luc Viatour, http://www.lucnix.be |
Seine Art Wissenschaft zu betreiben ging allein von der Beobachtung aus. Er machte keine Versuche. Trotzdem erkannte er viele Dinge richtig. Wären sie veröffentlicht worden, hätte es die Wissenschaft in vielen Bereichen um Jahrhunderte vorangebracht. Doch leider hatte er keine formelle Ausbildung in Latein und Mathematik. Deshalb wurde er von anderen Wissenschaftlern seiner Zeit nicht immer ernst genommen. Seine Aufzeichnungen gingen verloren. Viele Dinge mussten mehrere hundert Jahre später noch einmal ganz neu entdeckt werden.
Seine Aufzeichnungen handeln von
allem und jedem. Es gibt von ihm gezeichnete Landkarten und Baupläne für Schuhe,
die über Wasser laufen. Viele technischen Zeichnungen galten Waffen und
Waffensystemen. Leonardo hat einen Taucheranzug für den Kampf unter Wasser
gemalt, eine Dampfkanone und eine Art Panzerfahrzeug. Dazwischen sind aber auch
Listen von Menschen, die ihm Geld schuldeten, Einkaufszettel, Skizzen von
Gesichtern mit unterschiedlichen Emotionen, Studien zu Pflanzen und
Steinformationen und die Idee, einen Whirlpool zu bauen.
Skizzen und Studien von Leonardo zum Vogelflug, Foto: Luc Viatour, http://www.lucnix.be |
Leonardo hat vermutlich nur wenige seiner Konstruktionen auch gebaut. Ihn interessierte die Idee mehr als die spätere Ausführung. Vermutlich hatte er keine Lust, seine Hubschrauber und Gleitflieger zu testen, nachdem sich 1505 bei einem ersten Versuch einer seiner Assistenten ein Bein oder ein paar Rippen gebrochen hatte. Aber 2003, fast 500 Jahre später, wurden in England einige seiner Fluggeräte gebaut und getestet. Manche funktionierten sie richtig gut, andere nicht ganz so gut. In Italien wurde auch ein von ihm erfundenes Fahrzeug gebaut, quasi das erste Auto der Welt, das mit aufgezogenen Federn (sehr) kurze Strecken fahren kann. Auch im Schloss Clos Lucé sind einige seiner Konstruktionen nachgebaut und ausgestellt.
Zumindest eine seiner Konstruktionen hat Leonardo aber dann doch umgesetzt: Für den Französischen König Franz
baute er einen Roboter in Form eines Löwen, der ein paar Schritte lief und
dann Blumen, natürlich französische Lilien, überreichte.
Eine Brücke, die Leonardo 1502 für
den Sultan Bayazid II über das Goldene Horn von Konstantinopel bauen wollte, wurde erst 2001 verwirklicht. Architekt Vebjørn Sandbaute sie in verkleinertem Maßstab in Norwegen. Die Menschen in Konstantinopel hatten Pech. Sie mussten noch fast 350 auf eine andere Brücke warten.
Leonardo-Da-Vinci-Brücke in Ås,
Norwegen, Foto: Åsmund Ødegård 2005, cc-by-sa 2.0 |
Nach seinem Tod hinterließ
Leonardo da Vinci eine wilde Sammlung von 6.000 Blättern mit Ideen und Skizzen
zu allen möglichen Themen von Biologie, Anatomie, Technik und Waffen, bis hin zu
Wasserwirtschaft und Architektur. Außerdem gibt es Landkarten, botanische
Zeichnungen und Beobachtungen des Kosmos. Vermutlich hat er an einem Lexikon
gearbeitet, in dem er das Wissen seiner Zeit nach Themen geordnet
veröffentlichen wollte. Leider wurde das Werk nie gedruckt.
Viele der Notizbücher und
Zeichnungen gingen verloren und wurden erst 300 oder 400 Jahre später wieder
entdeckt. Heute sind sie unglaublich kostbar. Eine Sammlung von Blättern mit 72
Seiten, die heute Codix Leicester genannt wird, wurde 1994 von Bill Gates für
über 30 Mio US-Dollar ersteigert.
Leonardo da Vinci war einfach
genial. Er sah gut aus und war vermutlich ein netter Mensch. Aus Mitleid mit den Tieren aß er kein
Fleisch und kaufte gefangene Vögel, um sie frei zu lassen. Er war das größte Universalgenie aller Zeiten. Er konnte
eben alles. Außer vielleicht Sport. Das weiß ich nicht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen